Ein Geschenk an unsere Kinder
Die Metapher „Wurzeln und Flügel“ stammt von Johann Wolfgang von Goethe und hat bis heute seine Gültigkeit.
Doch wie können wir das als Eltern erreichen? Wie können wir unsere Kinder so begleiten, dass sie irgendwann sagen:
„Meine Eltern schenkten mir Wurzeln und Flügel.“
Wurzeln – sie stehen für Sicherheit, Geborgenheit, Heimat, Werte, Gemeinschaft und Zugehörigkeit.
Flügel – sie zeigen sich in Selbstbewusstsein, Selbständigkeit, Entfaltung, Mut, Ich-Sein-dürfen, Freiheit.
Ein Geschenk an Kinder, wenn sie so aufwachsen dürfen – doch wie können wir das im Erziehungsalltag umsetzen?

Wurzeln schlagen

Wurzeln geben unseren Kindern Halt. Dafür müssen wir achtsam sein und einige Dinge berücksichtigen:
Feste Strukturen
Kinder lieben Wiederholungen und Rituale. Sie machen die Welt vorhersehbar, und dadurch gewinnen sie Sicherheit.
Schon im Mutterleib erfahren Kinder Rhythmus und Struktur. Es gibt eine feste Begrenzung (Bauchdecke), der Herzschlag der Mutter beruhigt, und ein Rhythmus ist erkennbar. Kinder nehmen durch die Bauchdecke den Tag- und Nachtrhythmus wahr. Das sind die ersten festen Strukturen, die unser Kind beruhigen und eine Verlässlichkeit darstellen.
Als unsere Tochter klein war und das Mittagessen mal nicht klar erkennbar war – also das gemeinsame Sitzen am Tisch fehlte – hat sie am Abend immer nachgefragt:
„Mama was war unser Mittagessen?“
Spannend, oder? Da wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, wie wichtig eine feste Tagesstruktur ist.
Tipp: Baue kleine „Fixpunkte“ in den Alltag ein – sie helfen deinem Kind, sich zu orientieren.
Verlässliche Bindung
Emotional präsent zu sein, ist das größte Geschenk, das wir unseren Kindern machen können.
Was bedeutet das?
Das Kind ernst zu nehmen und es in seinen Gefühlen begleiten:
„Du bist traurig, weil…“
„Das verstehe ich.“
„Was brauchst Du, damit es Dir wieder besser geht?“
Kinder brauchen Eltern, die sich ihnen zuwenden und sich nicht von Gefühlen oder Verhalten abwenden.
Eltern, die ihr Kind in seiner Gefühlswelt begleiten, zuhören, da sind - und es in den Arm nehmen, wenn es das möchte.
Manche Kinder wollen einfach in Ruhe gelassen werden. Dann zeigen wir ihnen: Ich bin da - und es ist okay, wenn du erst einmal keine Nähe möchtest.
All das stärkt das Urvertrauen und die Bindung.
Werte und Zugehörigkeit stärken
In letzter Zeit ist ein starker Werteverfall in der Gesellschaft erkennbar. Umso wichtiger ist es, dass unseren Kindern Werte vermittelt werden. Auch diese geben ihnen Sicherheit, Orientierung und Struktur - und fördern den Zusammenhalt.
Fragen, die dabei helfen:
Was ist unserer Familie wichtig?
Respekt, Zuverlässigkeit, Zusammenhalt?
Werte müssen vorgelebt werden, denn Kinder lernen am Modell.
Wenn wir einen respektvollen Umgang möchten, ist es wenig hilfreich, wenn wir unsere Kinder anschreien oder über den Nachbarn -vor anderen- schimpfen.
Die Zugehörigkeit stärken wir durch gemeinsame, schöne Augenblicke in der Gemeinschaft. Wir erzählen auch Geschichten, was unsere Familie ausmacht.
„Als ich, als du klein warst, da….“
Wir unterstützen Kinder darin, Verantwortung zu übernehmen.
„Kannst du bitte den Tischdecken?“
Grenzen
Wie schon in einem anderen Blogbeitrag erwähnt, geben liebevoll gesetzte Grenzen ebenfalls Orientierung, Halt und Sicherheit.
Oben haben wir gesehen, dass Kinder bereits im Mutterleib eine natürliche Grenze spüren. Viele fühlen sich dadurch geborgen.
Nicht ohne Grund haben einige Neugeborene Schwierigkeiten mit der neu gewonnen Freiheit und Weite.
Daher wird nach wie vor das Einpucken (Wickeltechnik) bei Babys empfohlen.
Auch bei Jugendlichen ist zu erkennen, dass die Berufswahl durch die unbegrenzten Möglichkeiten zunehmend schwerer fällt.
Ein Kind, das erlebt, dass seine Bezugsperson klar und verlässlich Grenzen setzt, fühlt sich geführt - nicht kontrolliert.
Es lernt:
Mama und Papa passen auf mich auf. Ich darf wachsen, erforschen und mich ausprobieren. Meine Eltern achten darauf, dass ich dabei nicht emotional, sozial und körperlich zu Schaden kommen. Sie geben mir Orientierungshilfen und Schutz.
Flügel bekommen
Flügel helfen sich zu entfalten. Sie zeigen: „Ich kann was“ – „Ich darf meinen Weg gehen“ – „Ich bin okay, so wie ich bin“
Was bedeutet das jetzt im Erziehungsalltag?

Selbstständigkeit zulassen
Lass dein Kind altersgemäße Dinge erledigen. Nimm ihm nicht zu viel ab.
Ja, das braucht Zeit und wir müssen uns darin üben, unseren Perfektionismus zurückzuschrauben. Aber unsere Kinder wachsen daran.
Lass dein Kind kleine Entscheidungen selbst treffen.
Gerade Kinder mit starkem Autonomiebestreben fordern das regelmäßig mit Wutausbrüchen ein.
Wahlmöglichkeiten und übertragene Aufgaben helfen, selbstständiger zu werden.
Viele Eltern packen z.B. den Schulranzen der Kinder- dabei können sie das selbst übernehmen.
Fehlt etwas, weist die Lehrkraft euer Kind darauf hin – das ist die logische Konsequenz. Viele Eltern halten das kaum aus, aus Angst, es falle auf sie zurück. Doch genau so erziehen wir Kinder in die Abhängigkeit.
Idee für Aufgaben und Wahlmöglichkeiten:
- Tisch decken
- Spülmaschine ausräumen
- Schulranzen packen
- Allein anziehen
- Pausenbrot machen
„Möchtest Du morgen den roten oder den grünen Pullover anziehen?“
Vertrauen und Verlässlichkeit
Trau deinem Kind Dinge zu - auch wenn du denkst, es könnte noch „zu klein“ sein. Stärke ihm den Rücken und schalte dich nicht direkt korrigierend ein.
Ein Beispiel: Dein Kind möchte auf dem Klettergerüst höher klettern, als dir wohl ist. Biete lieber Hilfe an, anstatt Ängste zu schüren. Überprüfe: Ist es wirklich gefährlich – oder ist es mehr meine Angst?
Viele Kinder zeigen ihren Eltern auch ganz natürlich ihre eigenen Grenzen. Ermutige sie und dränge sie nicht. Vertraue darauf, dass dein Kind sich selbst gut wahrnehmen kann. Wenn wir über seine Grenzen hinweggehen, verliert es das Vertrauen in den eigenen Instinkt.
Schenke ihm Vertrauen!
Zeig deinem Kind, dass du verlässlich da bist. Auch wenn es mal scheitert.
Zeige, dass du dich irren kannst und flexibel auf Situationen reagierst – ohne das Grundgerüst über den Haufen zu werfen.
Auch im Bezug auf Grenzen und Regeln. Sei verlässlich und berechenbar. Kinder lernen:
„Wenn ich das mache, dann reagieren Mama oder Papa immer so.“
Das schafft Vertrauen und Orientierung.
Mut zur eigenen Meinung und aus Fehlern lernen
Ermutige dein Kind, seine eigene Meinung zu äußern, ohne sofort zu bewerten.
Frage lieber: „Wie es zu dieser Meinung kommt?“
Sage ihm nicht alles vor. Lass Raum, zum eigenen Denken. Zeig ihm, dass es eigene Ideen ausprobieren und seinen eigenen Weg gehen darf.
Vermeide ständiges Kritisieren und Korrigieren.
Frage stattdessen:
„Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?“
Zeige, dass auch du Fehler machst und wie du damit umgehst.
Ich erinnere mich: Als ich ein Kind war, schien mein Vater unfehlbar. Das führte später dazu, dass ich dachte, ich müsse perfekt sein.
Ich trug den Glaubenssatz in mir: Erwachsene machen keine Fehler.
Was für eine Erleichterung war es, als ich erfuhr: Fehler gehören zum Leben und lassen uns wachsen. Wir sind nicht unfehlbar.
Interessen und Talente unterstützen
Welche Interessen hat dein Kind?
Darf es diese ausleben und ausprobieren?
Oder projizieren wir unsere nicht gelebte Träume auf unsere Kinder?
Darf dein Kind ohne Leistungsdruck Neues entdecken und auch scheitern?
Unterstützen wir auch mal verrückte Ideen und Wünsche unserer Kinder?
Beispiel aus dem Alltag

Zum Abschluss noch ein Beispiel aus dem Alltag. Wie können Wurzeln, Flügel und Grenzen gelebt werden?
Wurzel – Sicherheit:
„Ich sehe, du bist enttäuscht – du magst diese Sendung gerne und würdest gerne noch eine Folge schauen.“
Grenze:
„Heute ist aber Schluss – wir haben die Regel, dass du nach einer Folge ausschalten sollst.“
Flügel – Freiheit
„Du darfst morgen entscheiden, welche Folge du als Nächstes sehen möchtest.“
Das Kind erlebt: Ich werde mit meinen Gefühlen und meiner Enttäuschung gesehen. Trotzdem gibt es klare Regeln, die eingehalten werden (Verlässlichkeit) - ich darf mitgestalten, indem ich morgen entscheide, was ich anschauen möchte.
Wo kannst du beim nächsten Mal die Wurzeln wachsen lassen und die Flügel stärken?
Gastbeitrag Pamela Zurbuchen
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